Christina Kunz

Christina Kunz wurde in Hanau geboren.

Sie hat Germanistik und Mathematik auf Lehramt in Frankfurt studiert und arbeitet in Seligenstadt, wo sie mit ihren Söhnen auch lebt.

Sie schreibt, seit sie denken kann, hauptsächlich Kurzgeschichten und Lyrik. Ihr erster Roman, Das Erbe von Grüenlant, ein Fantasy-Vierteiler, erschien im April 2018 bei mainbook.

Weitere Veröffentlichung: Elementarteilchen, Lyrik und Kurzprosa, 2019 bei BoD.

In der Schule hat sie die „Schreibwerkstatt“ gegründet, in der junge Talente zum Schreiben motiviert werden und die Möglichkeit zum Austausch über ihre Texte haben.

Die Liebe zur Literatur und zum Schreiben hat ihr verstorbener Vater Erhard in ihr geweckt. Lange Gespräche über Literatur gehörten ebenso wie gemeinsames Musizieren zu ihren Freizeitaktivitäten.

Neben dem Schreiben gilt ihre große Leidenschaft noch immer der Musik, so gehören auch eigene Songs zu ihrem Repertoire. Sie singt und spielt Klavier und Gitarre, außerdem Querflöte im reFreshed-Orchester der Stadtkapelle.

Am liebsten verbringt Christina Kunz ihre Freizeit in der Natur. Mit ihrem Hund Jimmy macht sie lange Spaziergänge und Wanderungen, in den Ferien ist sie gerne in den Bergen unterwegs.

Außerdem gilt ihre große Liebe Englands Südküste, was sich auch in so manchem Text widerspiegelt.

 

www.christinakunz.de

 

ELEMENTARTEILCHEN

 

Das erste Mal begegnete er mir in der S-Bahn.

Ich starrte gerade aus dem Fenster und beobachtete die Regentropfen, die von unten nach oben in einem Winkel von 45° an der Fensterscheibe entlangwanderten, Linien und Muster bildeten und verzweifelt versuchten, den Gesetzen der Gravitation zu folgen, sich dem durch die Geschwindigkeit der S-Bahn erzeugten Druck entgegenzusetzen und nach unten zu laufen. Mein Gesicht spiegelte sich schwach in der Fensterscheibe und wurde durchzogen von diesen Linien, die zugleich chaotisch und geordnet erschienen.

Da fiel mein Blick auf ihn.

Er saß mir gegenüber, seine wirren dunklen Haare hingen ihm ins Gesicht mit dem Dreitagebart und seine hellen blauen Augen waren konzentriert auf ein Buch gerichtet, welches er auf den Knien liegen hatte. Mit seinen langen schlanken Fingern blätterte er hin und wieder eine Seite um. Seine Kleidung, ein weißes Hemd, darüber ein dunkelblaues Sakko und eine saubere Blue-Jeans, wollte so gar nicht zu seinen schmuddeligen, ehemals weißen Nike-Turnschuhen passen.

Neugierig versuchte ich den Inhalt seines Buches zu entziffern.

Quantenphysik.

Anscheinend hatte er meinen voyeuristischen Blick bemerkt, denn er hob den Kopf und sah mich mit ausdrucksstarken Augen durchdringend an. Er lächelte.

Ob ich mich für Quantenphysik interessiere?

Er schien alles zu wissen und hielt mir einen Vortrag über die Elementarteilchen: Quarks, Baryonen, Mesonen und Bosonen und wie sie alle hießen, von den 26 Dimensionen, die uns umgaben und von Paralleluniversen und Antiteilchen.

Ich nickte.

Mit Paralleluniversen kannte ich mich aus.

Meine Paralleluniversen aber standen in Bücherregalen an der Wand, sie füllten Heft um Heft und Ordner um Ordner, sie beanspruchten Speicherplatz auf meinem PC und schwirrten mir tagtäglich durch den Kopf.

 

Von da an begegnete er mir häufiger.

Ich sah ihn hilflos vor dem Fahrkartenautomaten stehen. Er wusste alles über die physikalischen Gesetze, aber nichts über das Leben. Er weckte meinen mütterlichen Instinkt.

Ich verliebte mich in ihn.

Schließlich genügte ein Blick in seine hellen blauen Augen, um mich alles um mich herum vergessen zu lassen.

Elementarteilchen.

Er, ich.

Quark, Antiquark. Eine Einheit.

Elementar.

Perfekt.

 

Seufzend lege ich den Füllfederhalter zur Seite und starre auf die voll beschriebene Seite, aus der mir sein so vertrautes Gesicht entgegenlacht. Ich streiche sanft über das Papier und fühle seine weiche Haut unter meiner Hand.

Die Regentropfen klatschen ans Fenster meines Zimmers, die Gravitation lässt sie senkrecht nach unten laufen.

Mit Paralleluniversen kenne ich mich aus.

 

© Christina Kunz

 

 

BLAUES WUNDER

 

Ich war immer kreuzbrav, war nett, lieb und gut,

in der Schule gab‘s nie einen Blauen Brief.

Zu bösen Taten fehlte mir Mut,

ich war immer pünktlich, weil ich niemals verschlief.

 

Doch irgendwas fehlte, ich war stets auf der Jagd

nach der Blauen Blume, sollt‘ es die geben,

und eines Tages, das sei gesagt,

würd‘ ich mein Blaues Wunder erleben!

Als ich dich seh, trifft mich der Schlag!

Ich weiß sofort, dass ich dich mag!

Blaue Augen, tief wie das Meer,

Adonis in Blue Jeans, ich kann nicht mehr!

- Zwar trägst du ein Trikot von Schalke 04 -

egal, komm her und tanz‘ Blues mit mir!

 

Blauäugig lass‘ ich mich auf dich ein.

Das Leben kann so angenehm sein!

Wir hängen den Blaumann an die Wand,

machen blau und bereisen das ganze Land.

Wie Käpt‘n Blaubär segeln wir über‘s Meer,

auf dem Blauen Planeten hin und her,

in die Blaue Lagune, zu den Blauen Bergen,

begegnen den Schlümpfen und den Sieben Zwergen.

Du holst mir die Sterne vom Himmel!

Wir essen Käse mit Blauschimmel,

vom Rotwein haben wir blaue Zungen,

vom blauen Dunst bald Raucherlungen.

Mit Blaulicht auf der Achterbahn -

 

er endet jäh, der süße Wahn.

 

Denn mir wird klar, dass du mich betrügst,

dass du nur das Blaue vom Himmel lügst!

Und dass ich das schnellstens beenden muss…

Ich fang‘ an zu heulen, ich kriege den Blues!

Es muss sein, sagt mein Verstand, der ist schlau!

Doch das Herz zerbricht, und es wird alles

 

grau.

 

© Christina Kunz

 

 

LÜGENBANK

 

Lügenbank

Eis in der Hand

Sonne im Gesicht

Beine baumeln

Kleine Schwester

Kindergeschichten

Wer schneller am Wasser ist.

Lügenmärchen

Eis im Herzen

sonnengebräunt

Gedanken baumeln

Fremde Schwester

Lebensgeschichten

Tiefe Wasser sind still.

 

© Christina Kunz